Ein Alltag auf neun Quadratmetern, Rollstühle und Matschwegen

Mein Name ist Jacob Lee Seeliger. Ich bin zwölf und gehe in die 7. Klasse. Zusammen mit meiner Mutter, der Schauspielerin Natalia Wörner, habe ich ein Projekt der Kindernothilfe in Kenia besucht.

Meine Mutter engagiert sich schon seit vielen Jahren als Botschafterin für die Kindernothilfe. Ich konnte mir nie so richtig was darunter vorstellen. Deshalb habe ich sie in auf einer Reise begleitet. Was wir in Nairobi erlebt und erfahren haben, hätte ich so nie erwartet.

1. Tag: Wenn Kinder angeblich ein schlechtes Zeichen von Gott sind

Am Morgen holt uns Felix Kaloki ab, um mit uns ein Projekt für Kinder mit Behinderungen zu besuchen. Felix koordiniert die Arbeit der Kindernothilfe in Kenia. Ich kenne eigentlich gar keine Kinder mit einer Behinderung und bin echt gespannt, wie das wird.

Wir fahren erst mal zu einer Klinik, in der die Mädchen und Jungen behandelt werden. Felix erklärt mir, dass wir vor allem Kinder mit der Diagnose Zerebralparese treffen werden: Das bedeutet, ihr Gehirn ist geschädigt, und dadurch haben sie Bewegungsstörungen. Für sie ist es total wichtig, regelmäßig Krankengymnastik zu machen. Ich musste früher auch mal zur Physiotherapie, aber das fand ich nicht so gut.

Einige Mütter mit ihren Kindern sind schon da. In den Therapieräumen steht hinter einem bunten Vorhang eine Liege, auf der vier Kinder gleichzeitig behandelt werden. Einige von ihnen weinen, und ich weiß nicht, ob sie Schmerzen haben oder einfach keine Lust auf die Übungen. 

Jacob und seine Mutter besuchen ein Therapiezentrum in Nairobi.

Wir fragen die Eltern, wie das Leben mit einem behinderten Kind in Nairobi ist. Sie sagen, dass sie verspottet werden, und dass die Mädchen und Jungen als schlechtes Zeichen von Gott gesehen werden. Eine Mutter hat auch ein bisschen geweint und gesagt, dass sie ihre Tochter trotzdem sehr lieb hat. Das hat mich irgendwie berührt.

Die Kinder auf der Liege können sich nicht alleine hinsetzen, und die meisten können auch nicht sprechen. Als ich dem kleinen Joel meine Hand hinhalte, greift er sich einen Finger und zieht richtig fest daran. Das scheint ihm Spaß zu machen. Da muss ich lachen. Und er auch.

In dem Therapiezentrum werden behinderte Kinder und ihre Eltern unterstützt.

In einem Nebenhaus ist eine Werkstatt mit einem Schild „Wheel chair Workshop“. Davor stehen ganz viele unterschiedliche Rollstühle. Auf einigen klebt sogar ein Aufkleber von der Kindernothilfe. Felix sagt mir, dass die Rollstühle und Sitzfahrräder für jeden Menschen ganz individuell gebaut werden müssen und dass sich viele Familien so etwas gar nicht leisten können. Ich darf auf einem Sitzfahrrad eine Runde drehen und finde das mega. 

In der Werkstatt ist es ziemlich laut, und es wird geschweißt. In der Mitte stehen Hunderte Felgen in verschiedenen Größen und warten darauf, zusammengebaut zu werden.

In der Werkstatt entsteht für jedes Kind ein passendes Hilfsmittel.

In einem kleinen Laden gibt es Armreifen und Tücher, Lampenschirme und Körbe. Meine Mutter kauft einen Specksteinteller, eine Tasche und Schmuck. Sie meint, sie unterstützt damit die Kinder und ihre Familien. Ich meine, sie kauft einfach gerne ein.

Felix erzählt mir, dass die Mütter in diesem Projekt ganz viel davon selbst herstellen und es hier verkaufen. Einen anderen Job können sie gar nicht machen, weil ihre Kinder sie ja den ganzen Tag brauchen. Ich finde es gut, dass sie so zumindest ein bisschen Geld verdienen, denn 80 Prozent von ihnen leben allein mit ihren Kindern. Sie müssen sich um alles kümmern. Ganz schön hart.

Kleine Testfahrt: Jacob dreht eine Runde mit dem Handfahrrad.

2. Tag: Im Slum-Kino sitzt man auf dem Boden

Heute besuchen wir das Tageszentrum für Kinder mit Behinderungen im Slum von Mukuru. Es wurde bisher von der Kindernothilfe unterstützt und läuft nun so gut, dass die Hilfe zukünftig nicht mehr notwendig ist. Jeden Morgen bringen die Eltern ihre Kinder hierher.

Heute sind zwölf Mädchen und Jungen da. Wie in der Schule gibt es einen Stundenplan, und sogar Mathe steht auf dem Programm. Gegen elf Uhr haben die Kinder aus der gegenüberliegenden Schule normalerweise Pause und holen die Mädchen und Jungen aus dem Zentrum zum Spielen ab. Im Moment sind aber Schulferien, deshalb kommt heute keiner.

Außer Rand und Band waren die Kinder über den Besuch.

Einige Mütter haben sich zu freiwilligen Helferinnen ausbilden lassen. Sie zeigen anderen Müttern, wie sie mit ihren Kinder umgehen sollen. Das ist besonders wichtig, wenn ein Baby gerade erst ein paar Wochen alt ist. Die Helferinnen erklären den jungen Eltern dann, wie alles läuft und wo es Hilfe gibt. Das ist richtig klasse, weil sie sonst ganz allein mit ihren ganzen Fragen wären.

Der Slum von Makuru besteht aus vielen kleinen Blechhütten.

Wir laufen noch ein wenig durch den Slum. Wir kommen an dampfenden Kochtöpfen und kleinen Verkaufsbuden vorbei. An einem Stand liegen Ziegenköpfe in der Sonne, an einer Ecke fährt ein Mann auf einem alten Fahrrad, ohne sich auch nur einen Meter von der Stelle zu bewegen, und treibt dadurch eine Schleifmaschine an.

Aus einer kleinen dunklen Hütte dröhnt es laut, und als ich vorsichtig hineinblicke, sitzen ganz viele Jungs und Mädchen dicht gequetscht auf dem Boden und schauen sich einen Film an. Ach so: ein Kino! Der Slum kommt mir vor wie eine richtige Stadt. Aber der Boden ist matschig, weil die Wasserrohre, die hier durchlaufen, an einigen Stellen undicht sind. Überall liegt Müll rum, und es stinkt furchtbar. Die Menschen, die Arbeit haben, verdienen so wenig, dass sie sich keine bessere Wohnung leisten können.

Kaum eine Hütte im Slum von Mukuru hat einen Wasseranschluss.

Wir besuchen zwei Kinder aus dem Zentrum zu Hause. Wir passen gerade einmal zu viert in die kleine Hütte von Rita und ihrem Papa. Ich wundere mich, wie winzig die Hütten sind. Richtig schlimm finde ich auch die schlechten Wege im Slum. Wie soll man einen Rollstuhl dadurch bewegen? Ritas Papa zeigt uns, dass es nur mit viel Kraft und Geschick klappt.

Gladis‘ Mama ist eine der freiwilligen Helferinnen. Ihre Tochter ist schon 19, aber sie sieht aus wie zehn. Alle Kinder in dem Projekt sehen viel jünger aus, als sie wirklich sind. Ein Mitarbeiter erklärt mir, dass durch die Behinderung die Entwicklung verzögert ist. Ich frage mich, was die Kinder machen, wenn sich ihre Eltern nicht mehr um sie kümmern können. Mama Gladis sieht aber zum Glück ziemlich fit aus.

Vielleicht möchte Jacob selbst einmal Botschafter für die Kindernothilfe werden.

Die zwei Tage im Projekt gingen schnell vorbei. Ich wünsche mir, noch einmal hierherzukommen und Precious, Rita, Gladis und die anderen Kinder wiederzusehen. Vielleicht werde ich ja auch Botschafter für die Kindernothilfe, wenn ich erwachsen bin.