Kinder auf Lesbos: Warum manche Flüchtlingskinder ihre Mutter hassen
Manche Kinder hassen ihre Mütter, weil sie sie aus ihrem Zuhause in Afghanistan, Syrien oder wo auch immer gerissen haben.
Und jetzt sitzen sie auf der griechischen Insel Lesbos fest. In einem Zeltlager statt in einem Haus. In einer Umgebung, wo es immer wieder zu Gewalt kommt, weil so viele verzweifelte Menschen auf engstem Raum leben müssen. Ohne ihre Freunde, ohne Schule, ohne die Möglichkeit, das Lager für einige Stunden zu verlassen. Und ohne zu wissen, wann es jemals wieder anders sein wird. „Warum nur sind wir hier?“, fragen sie. „Warum hat uns unsere Mutter hierhergebracht?“
Nach einem Artikel des WAZ-Reporters Hubert Wolf für die Kindernothilfe
Der griechische Psychologe Grigoris Kavarnos hört solche Sätze oft. Die Kinder machen ihre Mütter dafür verantwortlich, wieder im Elend zu sitzen. Andere wiederum reagieren genau umgekehrt, geben sich selbst die Schuld, dass die Mama so leben muss. „Weil wir ihr nicht helfen können.“
Wer am stärksten zuschlägt …
Grigoris arbeitet mit dem Kindernothilfe-Partner LeSol im Lager Kara Tepe. Sonst macht es ja keiner. Bei ihm landen viele traumatisierte Mädchen und Jungen. Das Elend in der Heimat haben sie erlebt, die Flucht und die Überfahrt, jetzt das Leben im Lager und die Ungewissheit, wie es weitergehen wird. Wie verarbeiten sie das? Der Psychologe schätzt, dass etwa jedes dritte Kind schwere psychische Probleme hat. Der Grund ist fast immer die Gewalt, die die Mädchen und Jungen auf der Flucht und im Lager erlebt haben. „Sie haben gelernt: Wer am stärksten zuschlägt, hat etwas davon.“
Außerhalb des Lagers finden die Kinder schnell Freunde
Bis zu 500 Mädchen und Jungen sitzen in Kara Tepe, dem staatlichen Flüchtlingscamp direkt am Mittelmeer. Ständig kommen neue hinzu, andere können wieder gehen, beziehen vielleicht mit der Hilfe des Kindernothilfe-Partners LeSol eine kleine Wohnung in der Inselhauptstadt Mytilini. Der Psychologe ist ganz sicher: Wenn man den Kindern hilft, aus dem Lager herauszukommen, einen Schulalltag zu erleben, und wenn ihre Mütter oder Familien ebenfalls nicht mehr im Lager sind, dann fangen ihre seelischen Wunden an zu heilen.
Die Kinder lernen viel schneller Griechisch als die Erwachsenen. Sie schließen Freundschaften. Sie kennen sich in diesem verwinkelten Stadtteil von Mytilini auch viel schneller aus als zum Beispiel ihre Mütter. „Sie können ihnen helfen, sich zurechtzufinden. Das macht sie selbstbewusst. Und dann verschwindet auch der Hass auf ihre Mütter“, sagt der Psychologe.