Ecuador: Rubis Leben auf fast 4 000 Metern

Rubi und ihr Opa hoch oben in den Bergen (Quelle: Martin Bondzio)

Rubi und ihr Opa oberhalb ihrer Farm hoch oben in den Bergen (Quelle: Martin Bondzio)

Rubi lebt mit ihrer Familie ganz hoch oben in den Anden, das ist mit 7 400 Kilometern die längste Gebirgskette der Welt. Ihre Familie hat eine kleine Farm mit Kühen, Schafen, Rehen und anderen Tieren. Und damit Rubi und die anderen Kinder einen Schulabschluss machen können, hat ihr Opa einen Internetanschluss gekauft.

Text und Fotos: Martin Bondzio

Als wir auf der Kuh- und Schafweide der Familie Garcia angekommen sind, setzen wir uns für eine kurze Pause ins Gras. Die Luft ist dünn hier oben auf knapp 4 000 Metern. Die schwarz-weiß gefleckten Kühe lösen in mir Heimatgefühle aus – ich bin in Ostfriesland aufgewachsen. In dieser atemberaubenden Schönheit der Landschaft scheint die Zeit sehr viel langsamer zu laufen als im hektischen Duisburg. Die achtjährige Rubi und ihr Opa José haben mich zu sich nach Hause eingeladen, um mir, dem Mann aus Deutschland, ihre kleine Farm zu zeigen.

Die Herzlichkeit, Gastfreundschaft und Großzügigkeit, die ich immer wieder von den Menschen in unseren Projektländern erfahren darf, erfüllen mich auch hier mit Freude, Dankbarkeit und Demut. Denn das Leben im Hochland ist hart. Auch hier in Juan de Velasco in Zentralecuador. Das Leben der kleinen Rubi war und ist nicht leicht. Ihre Mutter hat die Familie früh verlassen, der Vater ist kaum zu Hause, da er in der Hauptstadt Quito auf dem Bau Geld verdienen muss. Deswegen wohne Rubi bei ihnen, erzählt mir Opa José, sie brauche eine Familie, Bildung und Unterstützung, damit ihr die Zukunft offenstehe. Sie solle die Möglichkeit bekommen zu studieren, wenn es das ist, was sie will.

Farmarbeit ja, aber die Schule geht vor

Rubi hat unterdessen genug von der Pause und will mir endlich zeigen, wie gut sie die Kühe melken kann. Geschickt bindet sie die Hinterläufe zusammen, damit die massige Kuh sie nicht einfach über den Haufen läuft. Dann wird gemolken, und Rubi macht das sehr gut. Aber nach einigen Minuten kann sie nicht mehr. Ihre Finger tun weh. Sie erzählt mir, dass sie gerne ihrer Familie auf der Farm helfe, aber die Schule und die Hausaufgaben gingen selbstverständlich vor. Rubi besucht auch Workshops des Kindernothilfepartners Fondo Ecuatoriano Populorum Progressio (FEPP). Rubi hat dort z. B. ihre Rechte als Kind kennengelernt. Besonders gerne mag sie das Recht auf Spielen, und sie singt sehr gerne.

Rubi ist verantwortlich für die Meerschweinchen und Kaninchen

Die Mädchen und Jungen lernen in den Workshops aber auch, dass sie nicht nur Rechte, sondern auch Verantwortung haben. Rubi hat Spaß an den vielen Tieren auf der Farm. Sie hat eigene Meerschweinchen und Kaninchen, für die sie auch die Verantwortung trägt. Außerdem hilft sie bei den Schafen und holt die Eier aus dem Hühnerstall.

Der Kindernothilfepartner FEPP arbeitet seit mehr als 40 Jahren in dieser Region. Die Organisation bildet Spezialistinnen und Spezialisten in verschiedenen Bereichen aus, zum Beispiel in Landwirtschaft oder Gesundheit oder auch für Kinderrechte. Die wiederum geben dann ihr Wissen und Können an andere in der Dorfgemeinde weiter.

Wir gehen zurück zur Farm, 200 Höhenmeter auf einen knappen Kilometer immer bergab. Für Rubi ist das kein Problem. Lebensfroh pflückt sie einen Blumenstrauß, hüpft über kleine Bäche und pustet die kleinen weißen Fallschirme einer Pusteblume in den Wind. Zurück auf der Farm will sie mir als Erstes ihr Zimmer zeigen. Etwas Licht fällt durch ein kleines Fenster in den Raum, der mit einem Bett schon fast komplett gefüllt ist. Auf dem Schreibtisch steht ein Laptop, auf den Opa José mächtig stolz ist.

 

Kein fließendes Wasser, aber Internet für die Bildung

„In den Treffen bei FEPP habe ich gelernt, dass man für ein erfolgreiches Leben unter anderem eine gute Bildung braucht. Deswegen gehen alle meine Kinder und Enkelkinder zur Schule“, erzählt mir Opa José bei einer Tasse Tee. Zwei seiner Töchter studieren. Aber auch hier in den Anden hatte die Coronapandemie zugeschlagen. „Die haben einfach die Schulen geschlossen, und die Kinder saßen zu Hause, ohne Bildung. Deswegen habe ich den Laptop und einen Internetanschluss gekauft, damit sie am Unterricht teilnehmen können.“

Ich finde Josés Einsatz beeindruckend. Die Farm nicht einmal fließendes Wasser. Ein Internetanschluss kostet fast 50 US-Dollar (45 Euro), und die Familie verdient im Durchschnitt nur etwas mehr etwas mehr als 200-US Dollar (181 Euro) im Monat. „Ich möchte, dass unsere Kinder hier eine Zukunft haben. Sie sollen unser Dorf in die Zukunft führen und hier ein gutes Leben haben. Meine Kinder oder Enkelkinder sollen nicht gezwungen werden, Ecuador zu verlassen, um ihr Glück in einem anderen Land suchen zu müssen“, sagt Opa José.

Rubi, ihr Opa und die restliche Familie (Quelle: Martin Bondzio)

Rubi mit ihrer Familie (Quelle: Martin Bondzio)

 

Rubis Schulweg: Drei Kilometer 300 Höhenmeter bergab – und nach dem Unterricht wieder bergauf

Die Familie ist auf ein Fest eingeladen. Die Erwachsenen haben sich in Schale geworfen. Gut, dass mich Fernando von FEPP mit dem Pick-up-Truck hier hochgefahren hat. So kann er die ganze Familie mit ins Dorf nehmen, und sie müssen in ihren Ausgehkleidern nicht den staubigen Weg hinunterwandern. Das übernehme ich an diesem Nachmittag, um mir ein Bild von Rubis Schulweg zu machen. Nach den gut drei Kilometern und über 300 Höhenmetern bin ich nur froh, dass ich den Weg nicht auch noch wieder nach oben gehen muss. Ich bin sehr beeindruckt von der Leistung der achtjährigen Rubi, die diesen Weg jeden Tag auf sich nimmt, für eine bessere Zukunft.