Südafrika: Thembi (9) wurde in der Hauptstadt ausgesetzt
Thembi zappelt auf ihrem Stuhl herum und beobachtet die Eingangstür des Restaurants. Vor drei Stunden hat ihre Gogo gesagt: „Ich hole was zu trinken.“ Was Thembi nicht weiß: Sie wird nie zurückkommen.
Von Gunhild Aiyub, Kindernothilfe-Redakteurin
Thembi war noch nie in Südafrikas Hauptstadt Tshwane. Ihre Gogo und sie sind heute mit dem Zug hierhergefahren. Das war aufregend. Gogo nennt man in Südafrika alte Frauen, Großmütter. Thembis Gogo ist eine Art Pflege-Oma. Ihre Eltern hat die Neunjährige nie kennengelernt. Jemand hat sie als Baby bei dieser Frau über den rostigen Zaun in den Hof fallen lassen und ist verschwunden. Die Gogo hat vom Staat Geld dafür kassiert, dass sie sich um Thembi kümmert.
Nach zwei Jahren wurde ihr das Kind lästig und sie hat es an eine andere Pflege-Oma weitergegeben. Doch Thembi ist ein Energiebündel, und nach sieben Jahren wurde die neue Gogo nicht mehr mit ihr fertig. Also brachte sie sie schweren Herzens zurück zur ersten Pflegestelle. Doch diese Gogo hatte überhaupt keine Lust, sich um Thembi zu kümmern. Sie brachte sie nach Pretoria und verschwand.
Die Polizei holt Thembi ab
Der Restaurantbesitzer beobachtet Thembi mit Sorge. Manch einer würde ein schwarzes Kind einfach auf die Straße setzen. Doch er ruft die Polizei. Thembi bekommt Panik – Polizisten haben in Südafrika keinen guten Ruf. Aber diese Männer sind ihre Rettung: Das zuständige Polizeirevier hat gute Kontakte zum Lerato House, einem Projekt des Kindernothilfe-Partners TLF. Dort hilft man Mädchen, die in der Hauptstadt auf der Straße gelandet sind. Im Lerato House ist Thembi die Jüngste. Die anderen Mädchen, die selbst alle Schreckliches erlebt haben, nehmen sie auf wie eine kleine Schwester.
Endlich – Thembi redet!
Thembi fühlt sich schnell wohl hier – aber trotzdem wie im falschen Film. Warum hat die Gogo sie verlassen? Zwei Wochen lang sagt sie niemandem, woher sie kommt, aus Angst, dass man sie zurückbringt. Dann endlich verrät sie den Projektmitarbeiterinnen Musawenkosi Tshuma und Elizabeth Mashego den Namen ihres Heimatortes.
Die Fahrt dorthin dauert lange. Endlich parken sie vor einer Reihe ärmlicher Hütten. Die Gogo reißt die Augen auf, als sie Thembi sieht. Schließlich behauptet sie: „Als ich ins Restaurant zurückkehrte, war Thembi weg.“ „Ach ja?“ Musawenkosi wird laut. „Und dann bist du nach Hause gefahren, ohne die Polizei zu informieren und Thembi zu suchen lassen? Wie kannst du nur? Sie ist doch noch ein Kind!“
Die Leute vom Lerato House werden die Gogo bei der Polizei anzeigen. Sie muss einen Denkzettel bekommen, damit sie nie wieder ein Kind aussetzt.
Thembis „Familie“ ist jetzt im Lerato House
Thembis neues Zuhause ist jetzt erst einmal das Lerato House. Dort hat sie Freundinnen, mit denen sie alles gemeinsam macht, wie in einer richtigen Familie: zur Schule gehen, lernen, spielen, herumalbern, reden, kochen. Thembi ist so oft abgeschoben worden. Jetzt hat sie endlich die Chance auf ein besseres Leben.