Äthiopien: Straßenmädchen Kaido (13) kehrt zu ihrer Familie zurück

Kaido zeichnet eine Frau. (Quelle: Jakob Studnar)In Dire Dawa im Osten Äthiopiens leben 340.000 Menschen. Viele können sich kein Haus leisten, nicht einmal eine Hütte. Tausende von ihnen sind Kinder. Sie alle leben draußen, sie schlafen unter löcherigen Planen, die sie an trockene Äste knoten, oder unter – nichts. Kaido war eine von ihnen.

Von Annika Fischer, Reporterin der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ)

Kaido hat keine Buntstifte. Die Frauen auf ihren Bildern sind deshalb blass und nicht braun wie die Menschen um sie herum, auch ihre Kleider haben keine Farbe. Aber es sind schöne Frauen in schönen Kleidern in einer schönen Zukunft, in der Kaido eine Modedesignerin sein will, vielleicht. Noch zeichnet die 13-Jährige auf diesem zerknitterten Block eine Welt, die nicht ihre ist. Die Welt von Kaido war die Straße.

 

Kaido zeichnet eine Frau. (Quelle: Jakob Studnar)Dort fanden sie Kaido, damals nicht einmal zehn Jahre alt, hungrig, schmutzig, den Kopf schlimm entzündet. Die Leute von der Kindernothilfe brachten sie in ihr Schutzzentrum, wo Kaido ein eigenes Bett bekam, bezogen mit einem Meer aus rosa Rosen, eine Art Schließfach für ein Stück Seife und die Anziehsachen, die sie ihr gaben. Und sie durfte duschen. Ein sanftes Lächeln fliegt über Kaidos ernstes Gesicht. „Das Gefühl des Wassers auf meinem Körper war großartig.“

Ein paar Monate durfte Kaido bei Hausmutter Sarah bleiben

Die Hausmutter half ihr beim Waschen, sie versorgte ihre Wunden, kochte warmes Essen; das Kind bekam eine abgelegte Schuluniform und Hefte geschenkt, man schickte es in die Schule. Die anderen Mädchen im Zentrum nahmen Kaido in ihre Mitte, sie lernte schnell: Sie ist jetzt die Klassenbeste. Sie brachten ihr bei, „wie man Probleme löst“, wie man überhaupt lebt, sagt sie.

Der Vater sei tot, sagt die 13-Jährige. Später erzählt sie, er sei gewalttätig gewesen; gehen wir also davon aus: Für Kaido ist er gestorben. Und seine Verwandten wollten nicht helfen. In dieser Hoffnung war Kaidos Mutter Turye in die Stadt gekommen mit ihren beiden Mädchen und dem kleinen Sohn. Aber niemand half. Nur die Marktfrau, die sie schlafen ließ draußen vor ihrem Laden auf nacktem Beton.

Kaido sitzt mit ihrer Mutter auf dem Markt. (Quelle: Jako Studnar)

Kaidos Mutter ist jetzt Marktfrau und verdient Geld für die Familie

Im Schutzzentrum haben sie Kaido beigebracht, für sich selbst zu entscheiden, stark zu sein und „nie die Hoffnung zu verlieren“. Als der Tag kam, an dem sie zurückgehen sollte zu ihrer Familie, haben sie ein Fest gefeiert. Kaido war ein bisschen traurig, sie wollte nicht weg von den neuen Freundinnen. Aber auch ihre Mutter Turye hatte die Straße inzwischen verlassen: Mit einer kleinen Geldsumme, die die Kindernothilfe ihr auf der Bank anlegte, konnte sie Gemüse kaufen, Tomaten in großen Kisten, und sich als Marktfrau selbstständig machen.

Kaido, sagt Turye, kam verändert aus dem Projekt zurück. Kaido sei nun „ein anderer Mensch“, „sagt sie, so strahlend, so stolz, sie ist der Kindernothilfe dankbar. „Ich liebe meine Kinder so sehr, aber ich habe nichts, was ich ihnen geben kann.“

Kaido sitzt mit ihrer Mutter auf dem Markt. (Quelle: Jako Studnar)

„Niemand nimmt dir, was du gelernt hast“

Das ist alles nicht viel, aber es ist ein Zuhause. Kaido, ihre Schwester Lesame (12) und der kleine Amanuel (5) sind wieder zusammen. Und die Mädchen können zur Schule gehen. Kaido, inzwischen in der sechsten Klasse, zieht liebevoll ein staubiges Englischbuch aus einem Tuch. Sie bekam es geschenkt für gute Leistungen. Es macht ihr Mut, es anzusehen: „Niemand“, sagt Kaido, „nimmt dir, was du gelernt hast.“

Und: „Es kommen bessere Tage, denke ich immer.“ Vielleicht wird sie zeichnen, vielleicht Mode machen, vielleicht auch bloß Tomaten verkaufen wie ihre Mutter. Jedenfalls hat sie genug gelernt, um einmal ihr eigenes Geld zu verdienen, und die Kindernothilfe wird weiter auf sie aufpassen. „Kaido“ bedeutet auf Amharisch, einer der Sprachen Äthiopiens: das „Versprechen“.

Das Projekt des Kindernothilfe-Partner FSCE in Dire Dawa:

Die Mitarbeiter kochen Straßenkindern gesunde Mahlzeiten, bieten ihnen einen Schlafplatz an und ärztliche Hilfe, wenn sie krank sind oder sich verletzt haben.
Kinder, die nicht in die Schule gehen können, weil ihnen das Geld fehlt für Stifte, Hefte, Kleider oder weil sie arbeiten müssen, um nicht zu verhungern, werden in Lernzentren von FSCE unterrichtet.
Eltern hilft FSCE mit Beratung und Geld, damit sie sich mit einem kleinen Geschäft oder einer Arbeit selbstständig machen, Geld verdienen und ihre Kinder ernähren können.