Peru: Nacho (12) und Ronaldo (8) verkaufen Zimt

Nacho (rechts) und Ronaldo in der Markthalle, in der sie Zimt und Plastiktüten verkaufen. (Quelle: Christian Nusch)Nacho und Ronaldo arbeiten auf einem Markt in Perus Hauptstadt Lima. Ihre Eltern sind arm, was sie verdienen, reicht nicht für die ganze Familie.

In Workshops lernen die beiden Jungen aber auch, wie sie kleine Geschäftsleute werden. So werden sie später durch weniger Arbeit mehr Geld verdienen und haben mehr Zeit für die Schule und zum Spielen.

Text: Katharina Nickoleit, Fotos: Christian Nusch

„Brauchen Sie Zimt? Oder vielleicht eine Plastiktüte?“ Ein ums andere Mal sprechen Nacho und sein Bruder Ronaldo die Kunden auf dem Markt an. Viele schütteln einfach nur den Kopf, manche finden es lästig, von den Kindern angesprochen zu werden. Nur ab und an kauft doch einer der Passanten den Kindern etwas ab. „Jeder von uns nimmt an einem Nachmittag ungefähr 23 Sol (sechs Euro) ein“, erklärt der Junge. „Die Hälfte davon geht für den Einkauf von Materialen drauf, der Rest ist unser Gewinn.“ Ein Gewinn, den sie zum größten Teil ihren Eltern geben.

Ein Zuhause aus Sperrholz und Werbebannern

Nacho und Ronaldo sind zwölf und acht Jahre alt. Sie leben in Puente Piedra, einem der vielen tristen Vororte im Norden der peruanischen Hauptstadt Lima. Sie leben mit ihren Eltern und drei Geschwistern in einer Hütte, die aus Sperrholz und alten Werbebannern besteht.

Das Zuhause der beiden Jungen - statt einer gemauerten Außenwand hängt dort nur ein riesiges Werbebanner. (Quelle: Christian Nusch)

Das Zuhause der beiden Jungen – statt einer gemauerten Außenwand hängt dort nur ein riesiges Werbebanner.

Die Eltern verdienen zusammen zehn bis zwölf Euro am Tag. Der Vater fährt ein dreirädriges, klappriges „Taxi“, die Mutter arbeitet als fliegende Händlerin. „Fürs Essen würde unser Geld vielleicht gerade so reichen“, meint der Vater. „Aber es müssen ja auch Materialen für die Schule angeschafft und der Bus bezahlt werden. Das ist mit unserem Einkommen alleine nicht zu schaffen. Da müssen die Jungs schon mithelfen.“ Und so gehen Nacho und Ronaldo jeden Samstag und Sonntag für ein paar Stunden zum Verkaufen auf den Markt. Die zwölf Euro, die sie dadurch gemeinsam zur Familienkasse beisteuern können, sind für ihre Eltern unverzichtbar.

Nachos und Ronaldos Familie - im Hintergrund das Dreirad-Taxi, mit dem der Vater sein Geld verdient. (Quelle: Christian Nusch)

Nachos und Ronaldos Familie – im Hintergrund das Dreirad-Taxi, mit dem der Vater sein Geld verdient.

Aus Kindern werden kleine Geschäftsleute

IFEJANT ist eine Organisation in Peru, mit der die Kindernothilfe aus Duisburg zusammenarbeitet. Diese Organisation bietet jungen Leuten Workshops an. Dort lernen sie, wie man sich mit einer Arbeit selbstständig macht, wie sie kleine Geschäftsleute werden. Die Kinder sollen dadurch besser und mehr Geld verdienen können. Auch Nacho und Ronaldo nehmen an den Workshops teil. „Wir haben gelernt, wie man eine Geschäftsidee entwickelt. Woran man alles denken muss, damit sie ein Erfolg wird. Also was man am besten verkauft und wo“, erinnert sich Nacho.

Nacho mit einer Tüte mit Zimtstangen. (Quelle: Christian Nusch)

Nacho mit einer Tüte mit Zimtstangen

Zimt und Plastiktüten zu verkaufen war seine Idee. „Weil Zimt in der peruanischen Küche viel verwendet wird und deshalb immer gebraucht wird“, erklärt er. „Und Plastiktüten, weil die Leute auf dem Markt nach einer Weile was brauchen, wo sie ihre Einkäufe reintun können.“ Doch auch eine gut durchdachte Geschäftsidee reicht alleine nicht, wenn man kein Geld hat, um sie umzusetzen. Deshalb vergibt IFEJANT Kredite an die Kinder, also sie leihen ihn Geld, das die Kinder zurückzahlen müssen. Nacho und Ronaldo haben sich rund 15 Euro geliehen, um davon genug Plastiktüten und Zimt einzukaufen, mit dem sie ihr Geschäft starten konnten. „Das Geld haben wir schon längst zurückgezahlt!“, meint Ronaldo selbstbewusst.

Darf man Kinderarbeit unterstützen?

Manche Leute sagen, man könne doch nicht Kinderarbeit unterstützen, wenn man gleichzeitig dafür kämpft, dass sie auf der ganzen Welt verboten wird. Man müsse dafür sorgen, dass die Eltern so viel verdienen, dass ihre Kinder nicht mehr arbeiten müssen. Aber in Peru haben die meisten Erwachsenen keine regelmäßige Arbeit. Sie machen kleine Arbeiten, die sie am Tag finden können, und was sie verdienen, reicht gerade mal für das Essen. Es wird noch viele Jahre dauern, bis sich daran etwas ändert. „Doch die Familien müssen jetzt überleben, die Kinder brauchen jetzt Geld für den Schulbus und für Hefte. Deshalb müssen sie arbeiten“, sagt Elvira, die Leiterin der Organisation IFEJANT. „Wir zeigen den Kindern, was sie tun können, um mehr zu verdienen, so dass sie weniger arbeiten müssen und mehr Zeit für die Schule und auch zum Spielen haben. Und wir wollen verhindern, dass die Kinder zur Arbeit gezwungen und ausgebeutet werden.“

Nacho und Ronaldo in der Schule. (Quelle: Christian Nusch)

Nacho und Ronaldo in der Schule

Deshalb macht IFEJANT auch Veranstaltungen für Eltern. Darin geht es hauptsächlich um Kinderrechte. Darum, dass sie nicht das Recht haben, ihre Kinder zur Arbeit zu zwingen und schon gar nicht dazu, sie aus der Schule zu nehmen. Kinder, die nicht genug lernen, werden in ein paar Jahren das gleiche Schicksal wie ihre Eltern haben – und ihre Kinder später ebenfalls. Deshalb müssen die Eltern unterschreiben, dass sie ihre Kinder weiter zur Schule gehen lassen. Mit der Schulbildung und dem, was die Kinder in den Workshops lernen, haben sie gute Chancen, aus der Armut herauszukommen. Elvira erzählt von Jugendlichen, die Jobs mit richtigen Arbeitsverträgen bekommen haben. In den Slums von Puente Piedra ist das etwas ganz Besonderes!

Eine Kundin kauft Nacho eine Zimttüte ab. (Quelle: Christian Nusch)

Eine Kundin kauft Nacho eine Zimttüte ab.

Ein Verkäufer darf nicht schüchtern sein

Nachos und Ronaldos Vater ist froh, dass seine Söhne bei IFEJANT so viel lernen: nicht nur Rechnen, sondern auch, sich ihre Zeit einzuteilen, zu planen und – ganz wichtig – auf Leute zuzugehen. „Am Anfang war ich schüchtern, da hat es mich viel Überwindung gekostet, auf Fremde zuzugehen und ihnen meine Waren anzubieten“, erinnert sich Nacho. Acht Jahre war er alt, als er damit anfing, auf dem Markt zu verkaufen. Und er lernt auch, sich nicht entmutigen zu lassen und Zurückweisung hinzunehmen – nur zwei von zehn Passanten, die er anspricht, kaufen tatsächlich etwas. „Aber ich merke, dass ich jetzt langsam zu alt für diesen Job werde. Die Leute kaufen lieber von kleinen Kindern.“ Deshalb ist es inzwischen eher sein kleiner Bruder, der auf die Marktbesucher zugeht.

Nacho hingegen schmiedet Zukunftspläne. „Ich will versuchen, einen Job in einem der Läden zu bekommen. Das könnte schon klappen, ich habe ja viel über das Geschäftemachen gelernt und inzwischen viel Erfahrung mit dem Verkaufen.“ Damit wäre er schon einen Schritt weiter als seine Mutter, die noch immer als fliegende Händlerin arbeitet.