Äthiopien: Bayesh (15) arbeitet bis nachts um zwei
Von Annika Fischer, Reporterin der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ)
Bayeshs Eltern sind zu arm, um sie zur Schule zu schicken. Trotzdem gehört sie jetzt zu den Besten in der 6. Klasse! Allerdings ist sie nicht mehr Klassenbeste, „nur“ noch dritte, und dafür schämt sie sich. Dabei hat sie dafür überhaupt keinen Grund. „Ich bin manchmal so müde“, sagt sie. Wenn ihr lest, was Bayesh den ganzen Tag tun muss, werdet ihr gut verstehen, warum sie müde ist.
Die 15-Jährige geht zur Hidasie Grundschule in einem Armenviertel von Dire Dawa. An die Mauern haben sie Formen und Zahlen gemalt, daneben die Körperteile des Menschen und ihre Namen. Die 1.080 Schüler tragen Schuluniform, oben gelb, unten dunkelblau, sie sehen alle gleich aus und sind es doch nicht. Bayesh zum Beispiel gehört zu den 150 Kindern, deren Eltern noch ärmer sind als arm. Sie gehen ins Lernzentrum der Kindernothilfe und haben dort den Unterrichtsstoff nachgeholt, den sie verpasst hatten, weil sie jahrelang nicht zur Schule gegangen sind.
150 Kinder gehen zur Schule, die eigentlich kein Geld dafür haben
Die Schule bekam sechs Computer dafür, dass sie Kinder aufnahm, die sich Schule eigentlich gar nicht leisten können, dazu einen Haufen Bücher und einen Kühlschrank. Und Bayesh erhielt ein paar Hefte und Stifte und die alte Uniform eines Mädchens, das inzwischen zum College geht.
Bei den Leistungen gibt es keinen Unterschiede zwischen den neuen und den anderen Kindern, sagt die Direktorin der Grundschule, Konjit Mekonin. Alle sind sie gut in der Schule. Wohl aber waren da anfangs Probleme mit der Disziplin, vor allem mit der Pünktlichkeit. Viele Kinder aus dem Lernzentrum kommen zu spät, weil sie arbeiten müssen, um ihre Familien zu ernähren, und sie wurden genau dafür von den anderen gemobbt.
Bayesh geht zur Schule, versorgt die Familie und arbeitet bis die Morgenstunden
Bayesh lernte schnell, „ich passe immer auf“, außerdem weiß sie, was von ihr verlangt wird: „Die Kinder aus Familien, die Geld haben“, sagt ihre Freundin Makeda, „können machen, was sie wollen, weil sie wissen, dass ihre Eltern für sie sorgen.“ Die Eltern von Bayesh können das nicht. Der Vater ein Tagelöhner, die Mutter Hilfskraft in der Kaffeerösterei, und Bayesh unter fünf Geschwistern das einzige Mädchen: Sie muss mithelfen, sagt sie. Und erklärt nur ganz langsam, was das bedeutet:
Bayesh muss früh aufstehen und die kleinen Brüder versorgen. Dann geht sie zur Schule – sie läuft eine Stunde lang, weil sie kein Geld hat für den Bus oder ein Tuk-Tuk, eines dieser knatternden Dreiräder, die in der Stadt als Taxis unterwegs sind.
Nach der Schule geht sie den langen Weg wieder nach Hause, sie kocht Essen und bringt es der Mutter in die Fabrik. Dann versorgt sie die Geschwister, putzt und räumt auf. Und danach – es ist jetzt sieben Uhr abends – geht sie wieder in die Rösterei. Bayesh sortiert Kaffeebohnen, die guten für den Verkauf ins Ausland, die schlechten für die Einheimischen. Bis nachts um zwei. Zum Lernen kommt sie nur sonntags. Zum Spielen nie. Kein Wunder, dass Bayesh müde ist.
Und nur, weil die Kindernothilfe für Bayesh bezahlt, Bücher, Hefte und demnächst eine neue Uniform, können Mädchen wie sie überhaupt zur Schule gehen. Und von einem besseren Leben träumen. Bayesh will Ärztin werden. Sie hebt den Kopf – und lächelt wieder.
Das Projekt des Kindernothilfe-Partner FSCE in Dire Dawa:
Die Mitarbeiter kochen Straßenkindern gesunde Mahlzeiten, bieten ihnen einen Schlafplatz an und ärztliche Hilfe, wenn sie krank sind oder sich verletzt haben.
Kinder, die nicht in die Schule gehen können, weil ihnen das Geld fehlt für Stifte, Hefte, Kleider oder weil sie arbeiten müssen, um nicht zu verhungern, werden in Lernzentren von FSCE unterrichtet.
Eltern hilft FSCE mit Beratung und Geld, damit sie sich mit einem kleinen Geschäft oder einer Arbeit selbstständig machen, Geld verdienen und ihre Kinder ernähren können.