Abeba aus Äthiopien, 6 Jahre: Mein 12-Stunden-Tag

 

Früher habe ich mit meiner Mutter bei meinen Großeltern in einem Dorf in der Nähe von Bahir Dar gewohnt. Mein Großvater war der Einzige, der Geld verdient hat.

Vor zwei Jahren hatte er einen Unfall und ist gestorben. Da gab es plötzlich niemanden mehr, der uns versorgen konnte.

Meine Mutter und meine Großmutter haben mich zu einer fremden Familie geschickt – ich wohne bei ihnen im Haus und bekomme genug zu essen. Dafür muss ich im Haushalt arbeiten. Deshalb bin ich jetzt ein „Qenja“ (siehe unten). Meine Mutter und meine Großmutter konnten auch nicht mehr in unserem Zuhause bleiben, sondern wohnen heute auch als Haushaltshilfen bei fremden Leuten. Ich habe sie seitdem nicht wiedergesehen.

 

Nach Sonnenaufgang

Wenn ich morgens aufstehe, schlafen alle anderen noch. Zuerst muss ich die Kühe aufs Feld bringen. Gemeinsam mit einem anderen Qenja  treibe ich sie auf das Feld am Dorfrand. Anfangs hatte ich Angst vor den großen Tieren. Mittlerweile weiß ich aber, wie ich mit ihnen umgehen muss.

 

Vormittags

Wenn ich vom Feld zurückkomme, bereite ich das Frühstück für die Familie vor. Es gibt immer Injera – das ist ein saures Fladenbrot aus Teff (ein Getreide, das in Äthiopien wächst). Danach mache ich den Abwasch, fege, schrubbe das Haus und kümmere mich um die Wäsche. Häufig muss ich dafür zur Wasserstelle gehen. Mit dem schweren Wasserkanister auf dem Rücken brauche ich für den Hin- und Rückweg fast eine Stunde. Danach tut mir der Rücken weh.

 

Nachmittags

Es gibt immer etwas zu tun: aufräumen, Wasser holen oder das Abendessen vorbereiten. Außerdem muss ich mich um das jüngste Kind der Familie kümmern.

Nachmittags kommen die Kinder aus der Schule. Manchmal spielen wir dann mit anderen Mädchen und Jungen aus dem Dorf. Ich mag es gar nicht, wenn sie mich Qenja nennen. Für mich ist das ein Schimpfwort.

Wenn es dunkel wird

Ich muss die Kühe wieder zurücktreiben. Sie wollen aber oft nicht zurück zum Stall. Sie bleiben ständig stehen oder versuchen, woanders hinzulaufen. Darum brauche ich für den Rückweg manchmal fast eine Stunde – und um sechs Uhr wird es bereits dunkel.

Zum Abendessen gibt es wieder Injera mit einer scharfen Soße, die heißt Wot. Bald nach Einbruch der Dunkelheit gehe ich schlafen, denn ich bin hundemüde. Wir schlafen alle in einem Zimmer in einem Bett.

Was bedeutet Qenja?

Arme Familien haben oft viele Kinder, die sie gar nicht alle versorgen können. Andere Familien dagegen – Verwandte oder ganz fremde Familien – besitzen vielleicht einen Acker, Ziegen oder Kühe. Und sie haben zu wenig Kinder oder andere Familienmitglieder, so dass sie die Arbeit nicht allein schaffen können. Also gibt die arme Familie ihr Kind an die etwas wohlhabendere Familie ab und bekommt dafür etwas Geld oder Lebensmittel – das heißt, sie verkauft das Kind bzw. seine Arbeitskraft.

Das Kind hat dann ein Dach über dem Kopf und bekommt genug zu essen. Und die wohlhabendere Familie hat genügend Arbeitskräfte, die sich um den Acker, die Tiere und den Haushalt kümmern können. Aber die Kinder sind viel zu klein für diese vielen Arbeiten. Und sie gehen nicht zur Schule – das heißt: Wenn sie älter werden, können sie nicht lesen und schreiben, können keinen Beruf lernen und werden genauso arm sein wie ihre Eltern.